Ein herzliches Willkommen…
… zu unserem Newsletter, den wir begleitend zum Kinderdokumentarfilm- und VR-Projekt WUNDERKAMMERN gestartet haben
Unser Newsletter #6 steht ganz im Zeichen des „Goldenen Spatz“. Da werden MEINE WUNDERKAMMERN gleich doppelt ONLINE im Wettbewerb laufen: der Film in der Sektion „Dokumentation, Information und Dokumentarfilm“ und die VR im Wettbewerb DIGITAL. Wem das nichts sagt: Gegründet 1979 als „Nationales Festival ‚Goldener Spatz‘ für Kinderfilme der DDR in Kino und Fernsehen“ ist es eines der ältesten und renommiertesten Kinderfilmfestivals in Deutschland.
Wir haben mit Nicola Jones, der Festivalleiterin, unter anderem über ihr Festival in Zeiten der Pandemie gesprochen, über das Kino als Ort des Filmerlebens und das Kinderfilmschaffen in Deutschland. In „Behind the Scenes“ gehen wir dieses Mal mit Wisdom und seinem Floß auf die Reise. Emma Rosa Simon, unsere Kamerafrau beantwortet 6 Fragen und lüftet das Geheimnis, warum man an Filmhochschulen eigentlich nicht mit Hunden, Waffen und Kindern drehen darf. Und die Kulturtipps der Kinder führen euch direkt ins Festivalgeschehen beim „Goldenen Spatz“. Viel Spaß!
Am 6. Juni startet der Goldene Spatz als Online-Edition. Das macht uns alle nicht glücklich, denn echte Begegnungen und Gespräche im Kinosaal – richtige Festivalatmosphäre eben -, lassen sich nicht ersetzen. Aber das Spatzen-Team hat sein Bestes gegeben, um sein Festival auch Online zum Erlebnis zu machen.
Hier findet ihr alle Filme und Veranstaltungen. Es wird eine LIVE-Theateraufführung geben, die Eröffnung wird ebenfalls live übertragen und es werden spannende Gespräche stattfinden. Unter anderem über Familienbilder und Erwachsenenfiguren im Kinderfilm: „Papa ist Architekt und Mama macht Yoga“ – ein Panel veranstaltet von der Initiative „Der besondere Kinderfilm“ mit KIDS Regio.
Da ein echtes Treffen auf einem Festival im Moment immer noch nicht möglich ist, verabredeten sich Nicola Jones und Susanne Kim digital, um über das Gestalten eines Kinderfilmfestivals in Zeiten von Corona, den Sehnsuchtsort Kino und den deutschen Kinderfilm zu sprechen. Nicola Jones ist seit 2016 Geschäftsführerin der Deutschen Kindermedienstiftung „Goldener Spatz“ und auch die künstlerische Leiterin des gleichnamigen Festivals in Gera und Erfurt. Die studierte Kommunikationswissenschaftlerin mit dem Schwerpunkt Medienpädagogik kennt sich als ehemalige Förderreferentin der FFA auch mit den Strukturen im Bereich Filmförderung aus. Und um eines vorwegzunehmen: Sie gratuliert MEINE WUNDERKAMMERN schon alleine dafür, dass es den Film und die VR überhaupt gibt.
Auch wenn wir alle hoffen, dass Corona und seine Auswirkungen bald Geschichte sein werden, kommen wir nicht um die Frage herum: Was bedeutet die Pandemie für euch als Festival, welche Auswirkungen hat sie für euch?
Nicola Jones: Wir haben 2020 relativ schnell umdisponiert, das Festival verschoben und dann im September eine hybride Variante umgesetzt. Die Verschiebung war notwendig, weil von März bis Juni die Schulen geschlossen waren und zunächst Konzepte für das digitale Lernen zuhause entwickelt werden mussten. Schulklassen gehören zu unserem Hauptpublikum. Im September waren die Schulen wieder geöffnet, aber die mögliche Auslastung der Kinos war begrenzt. Also wollten wir auch denen, die aufgrund der begrenzten Platzkapazitäten nicht zum Festival kommen konnten, ein Online-Angebot machen. Das war für das gesamte Team eine Herausforderung verbunden mit einer großen Lernkurve. Am meisten hat uns die Frage beschäftigt, wie wir ein Festival online gestalten können, das eine Annäherung zu dem darstellt, was man normalerweise im Kino erleben kann? Klar ist, Eins zu Eins kann man es nicht übersetzen. Zusammen mit der Möglichkeit vor Ort, wenn auch in verkleinerter Form, war es aber ein sehr schönes Festivalerleben. Es hat uns als Team Auftrieb gegeben, dass wir neben der Online-Ausgabe, auch im Kino Filme zeigen und unsere Filmgäste persönlich empfangen konnten.
Jetzt stehen wir vor der neuen Herausforderung, dass wir fast ausschließlich online stattfinden. Deshalb wollen wir die Festival-Online-Welt noch erweitern. Mit dem Wettbewerb DIGITAL hatten wir bereits geplant, ins Netz zu gehen und interaktive Formate auszuprobieren. Nun wird auch der Wettbewerb Kino-TV dort zu sehen sein, erweitert um Online-Events wie z.B. digitales Theater oder eine Multivisionsshow mit Checker Tobi. Auch die Fachveranstaltungen, die letztes Jahr ausgefallen sind, werden digital stattfinden. Mit einer Online-Ausgabe besteht die Chance, die Reichweite zu erhöhen und auch ein Publikum zu erreichen, das normalerweise das Festival nicht besuchen kann. Das ist ein Vorteil und es wird sicherlich so sein, dass wir auch in Zukunft darüber nachdenken werden, ähnliche Angebote zu schaffen.
Aber es bleibt dabei: Das Kino ist essenzieller Bestandteil unseres Festivals und es wird schmerzlich vermisst, nicht nur von uns als Team, sondern sicherlich auch vom Publikum. Viele Kinder kommen das erste Mal im Kindergarten zu uns und später dann mit der Schule oder den Eltern. Oft ist der Festivalbesuch die erste Kinoerfahrung, die eine spürbare Begeisterung hinterlässt. Als Kindermedienfestival haben wir jedoch eine Zielgruppe, die altersbedingt herauswächst, auch wenn wir erwachsene Spatz-Fans haben. Das bedeutet für uns, dass wir unser Zielpublikum immer neu für uns gewinnen müssen. Ich sehe es als unsere Aufgabe, das Kino als Kultur- und Erlebnisort erfahrbar zu machen, aber nach der Pandemie warten große Herausforderungen auf die Kino- und Festivallandschaft.
Und wie kam das hybride Festival beim Publikum an?
Nicola Jones:
In Bezug auf Familien hatten wir insgesamt eine höhere Reichweite und haben deutschlandweit neue Festivalbesucher:innen dazugewonnen. Von vielen Familien haben wir tolles Feedback zur Gestaltung der Website und zum Filmangebot erhalten; einige schrieben uns, dass sie zusammen einen Popcorn-Kino-Abend gemacht haben. Als Festival bieten wir ein kuratiertes Angebot und Eltern suchen oft nach Inhalten, die für ihre Kinder geeignet sind. In der Regel entscheiden gerade bei Kaufangeboten die Eltern mit, was die Kinder schauen. Sicherlich ist bei den Zuschauerzahlen noch Luft nach oben, aber wir hatten im Vorfeld sehr wenig Zeit und haben gelernt, dass man frühzeitig Marketing- und Werbemaßnahmen mitdenken muss.
Für den schulischen Bereich haben wir mit einem speziellen Ticket für Gruppen ein Angebot für Schulklassen geschaffen, das aber von den Schulen eher verhalten aufgenommen wurde. Die Reaktionen war: Wenn wir richtig ins Kino kommen können, dann kommen wir. Aber die Schulen haben im letzten Jahr weiter dazu gelernt und sind beim digitalen Lernen zunehmend besser aufgestellt. In diesem Jahr haben wir unsere Film- und Medienpatenschaften deutschlandweit digital umgesetzt und auch die Bereitschaft, ein Online-Festivalticket zu erwerben, ist gestiegen.
Du sprichst immer wieder den Ort Kino an, warum ist der so wichtig für dich?
Nicola Jones: Kino bietet dieses besondere Gemeinschaftserlebnis, das wir insbesondere in Zeiten der Pandemie vermissen. Ich bin der festen Überzeugung, dass im Rahmen der Festivalarbeit das Kino unser Zuhause ist. Das merkt man an der Begeisterung, gerade beim jungen Publikum. Wenn wir die nächste Generation Kinogänger:innen begeistern wollen, dann brauchen wir diesen Ort, damit sie überhaupt Kino erfahren können und damit etwas verbinden. Insbesondere die Begegnungen zwischen den Kindern und den Macher:innen der Filme im Anschluss an das gemeinsame Sehen ist online nur schwer umzusetzen. Die Frage ist, wie das Kino weiterhin fortbestehen kann. Das Multiplex- Kino in Gera, in dem wir als Festival viele Jahre Filme gezeigt haben, hat inzwischen dauerhaft geschlossen. Das betrachte ich mit Sorge, denn es ist nicht das einzige Kino, das eventuell nicht wieder aufmachen wird.
Ihr seid eines der ältesten Kinderfilmfestivals in Deutschland mit ostdeutscher Tradition. Worin unterscheidet ihr euch von anderen Festivals für Kinderfilme?
Nicola Jones: Wir sind ein Kinder- und Medien-Festival und decken damit nicht nur Kino und Fernsehen ab, sondern auch andere Bereiche und lenken beispielsweise die Aufmerksamkeit auf das Erzählen für Kinder im digitalen Raum. Das heißt, wir bieten eine Präsentationsfläche für digitale Angebote, die andere Festivals nicht haben.
Seit der Neuformierung nach der Wende, werden die Preise durch eine Kinderjury vergeben. Das gibt es bei anderen Filmfestivals zwar auch, aber wir haben, soweit ich weiß, mit über 30 Kindern die größte Kinderjury in Deutschland, weil wir Kinder aus allen Bundesländern und auch den deutschsprachigen Nachbarländern und -regionen zu uns einladen.
Darüber hinaus sind wir das einzige Festival, das einen aktuellen Überblick darüber gibt, was in Deutschland für das Kino und Fernsehen für Kinder im letzten Jahr produziert wurde. Wir sind also eine Werkschau des deutschen Kinderfilm- und medienschaffens. Das war auch in den Vorwendejahren bereits der Fall. Die Film- und Fernsehschaffenden der DEFA trafen sich beim Festival und diskutierten durchaus kritisch die Beiträge des Festivals. Bereits damals wurden Filmemacher:innen aus Westdeutschland auf den „Goldenen Spatz“ aufmerksam und besuchten das Festival. So bildete sich eine kleine Gemeinschaft, die Qualitätsdebatten unter den Film- und Fernsehschaffenden angestoßen hat. Bis heute fungieren wir als Treffpunkt für das Fachpublikum der Kinderfilm- und medienszene.
Auf großen internationalen Festivals laufen Kinderfilme meistens jenseits der großen Aufmerksamkeit. Der Kinderfilm ist so eine kleine Nische und sie sind schwer zu finanzieren. Es gibt auch kaum Sendeplätze für längere Formate. Bei Dokumentarfilmen für Kinder wird es dann ganz schwierig. Warum haben Kinderfilme so einen niedrigen Stellenwert, gerade in Deutschland?
Nicola Jones: Einerseits stimmt das, was du sagst, aber es stimmt auch wiederum nicht, denn es gibt ja unterschiedlichen Sparten. Im Bereich des Family Entertainment, werden in Deutschland viele Stoffe, die auf Marken oder Kinderbuchklassikern beruhen, sehr hochwertig mit hohen Budgets produziert. Das gilt für den Fiktions- wie den Animationsbereich…
…Ich meine die originären Stoffe.
Nicola Jones: Die Initiative „Der besondere Kinderfilm“ hat in dieser Richtung inzwischen viel verändert. So kommen jetzt jährlich zwei bis drei Kinderfilme ins Kino, die auf originären Geschichten beruhen. Das hat die Vielfalt im deutschen Kinderfilm hinsichtlich der Themen und Genres aus meiner Sicht enorm bereichert. Mittlerweile werden im Rahmen der Initiative z.B. auch Dokumentarfilme gefördert. Es gab vor der Gründung der Initiative kaum originäre Kinderfilme. Das lag nicht am Mangel von Stoffen, aber die Entwicklung und Produktion wurden einfach nicht finanziert. Förderungen und Sender haben nicht gemeinsam agiert und auch kein besonderes Augenmerk darauf gerichtet, dass auch Kinder ein Anrecht auf Vielfalt im Filmangebot haben. Zudem werden die Marktchancen für originäre Stoffe oft geringer eingeschätzt, so dass mit privatem Investment oder Minimumgarantien eines Verleihers kaum zu rechnen ist. Im Rahmen der Initiative agieren aber Förderungen auf Bund- und Länderebene sowie die Sender gemeinsam und fördern sowohl die Entwicklung als auch die Produktion. So entstehen im besten Fall ausgereifte Drehbücher mit einer entsprechenden Chance auf Realisierung. Zudem stellt der KiKA einen Sendeplatz zur Verfügung. Dass es diese Filme, wenn sie auf den Markt kommen, natürlich im Kino schwerer haben, ist klar. Trotzdem laufen sie auf den Festivals teilweise sehr erfolgreich. Das ist ein kultureller Erfolg, der eine Strahlkraft nach Außen hat. Und Kinderfilme sind meistens Longplayer, das heißt sie werden in den verschiedenen Verwertungsketten länger ausgewertet. Man darf aus meiner Sicht nicht immer nur die Zuschauerzahlen im Kino im Blick haben, sondern auch andere Aspekte, die Erfolg definieren. Bei Kinderfilmen finde ich es wichtig, dass man diesen Filmen gesellschaftlich und politisch noch mehr zutraut und versucht, diese Filme auch vom Ansehen und der Budgetierung her auf die gleiche Ebene wie Filme für Erwachsene zu heben. Ich denke hier an die Niederlande oder Skandinavien, wo der Kinderfilm ein hohes Ansehen genießt und teilweise auch sehr erfolgreich in der Verwertung ist. Ich sage teilweise, denn wenn es um die Kinoauswertung geht, hat man dort genau die gleichen Probleme, wie bei originären Kinderfilmen in Deutschland.
Ist es so, dass man immer noch ein bisschen denkt, Kinderfilm ist halt eben nicht so „richtig“ Film?
Nicola Jones: Das ist ein wichtiger Punkt. Mit dem Label Kinderfilm, sind die Chancen, zum Beispiel beim Deutschen Filmpreis für die beste Regie nominiert zu werden, eher gering. Da gibt es dann eher mal eine Nominierung für das beste Kostümbild. Mit einem Kinderfilm bekommt man als Filmschaffende/r häufig nicht die gleiche Anerkennung, auch wenn verschiedene Akteur:innen sich dafür einsetzen, dass der Kinderfilm auch künstlerisch stärker wahrgenommen wird.
Was ist denn deine Erfahrung mit eurer Kinderjury: haben sich die Kinder mittlerweile an formatiertes Fernsehen und bestimmte Dramaturgien des klassischen Familienfilmes gewöhnt, oder sind sie noch offen für freiere Formen des Erzählens?
Nicola Jones: Ich würde sagen, dass die Seherfahrungen der Kinder sehr unterschiedlich sind. Die Kinder bewerben sich bei uns mit einer Filmkritik, setzen sich also schon bevor sie anreisen mit filmischen Inhalten auseinander. Aber dann lernen sie auch bei uns noch dazu. Zum Beispiel, dass es verschiedene Kategorien mit unterschiedlichen Bewertungskriterien gibt, die sie teilweise auch selbst entwickeln. Ich finde es immer wieder erstaunlich, was Kinder sehen, bemerken und reflektieren.
Manchmal denken sie, dass Filmbewertung heißt, erst einmal gucken zu müssen, ob sie einen Fehler finden. (lacht) Und die finden sie dann auch z.B. Anschlussfehler. Kinder sind also sehr kritisch. Zum Beispiel stört es sie, wenn eine Nebenfigur eingeführt wird und diese nicht richtig zu Ende erzählt wird. Natürlich gehen sie auch danach, ob sie von dem, was sie gesehen haben, berührt waren und/oder sich unterhalten gefühlt haben.
Die kritische Auseinandersetzung hat natürlich auch etwas mit der Seherfahrung zu tun. Die Kinder der Jury sind zwischen 9 und 13 Jahre alt. Das ist schon eine breite Alterspanne, denn die 13-jährigen haben teilweise schon ganz andere Filme auch aus dem Erwachsenenbereich gesehen. Dazu hat jedes Kind seine eigenen Vorlieben. Da kommen dann unterschiedliche Meinungen zusammen und es ist herausfordernd, diese in der Diskussion zusammenzuführen und am Ende zu einer Bewertung zu kommen.
Wir treten ja mit einem langen Dokumentarfilm und einer dokumentarischen VR Experience bei euch im Wettbewerb an – also wenn man so will, der Dinosaurier und ein noch ziemlich junges Format. Denkst du, Kinder wollen noch lange Dokfilme sehen, oder kommt die VR schon alleine als Medium dem näher, was junge Menschen heute begeistert?
Nicola Jones: Es gibt aus meiner Sicht im deutschen Raum zu wenig lange Kino-Dokumentarfilme für Kinder, es fehlt die Kontinuität. Und wenn es das Angebot nicht gibt, dann sind Kinder es auch nicht gewohnt, lange dokumentarische Filme zu schauen. Oft kommen Kinder bei Schulvorführungen oder Festivals erstmals mit Dokumentarfilmen in Berührung, was oft zu positiven Überraschungseffekten führt. Aber aus meiner Sicht gibt es auch Dokumentarfilme, die z.B. ein Kind als Protagonist:in haben, aber erwachsene Maßstäbe an Sehgewohnheiten setzen. Natürlich sollte man Kinder fordern, aber nicht überfordern. Sicherlich kann man Sehgewohnheiten besser ausprägen und wenn es mehr Angebote an Dokumentarfilmen gäbe, würden Kinder diese auch wahrnehmen und könnten eine Affinität dazu entwickeln. International ist das Angebot größer, jedoch finden diese Filme außerhalb von Festivals kaum eine Sichtbarkeit. Wir können mit dem Festival Impulse setzen, indem wir unterschiedliche Filme zeigen und darüber mit dem Publikum sprechen und so auch Medienkompetenz und Filmbildung vermitteln. Eine weiterführende medienpädagogische Ausbildung muss aber auch an den Schulen passieren.
Das Terrain, in das ihr euch mit eurem Projekt MEINE WUNDERKAMMEN begeben habt, ist wirklich eine Nische in der Nische. Ihr seid, glaube ich, seit 2016 der erste dokumentarische Langfilm in unserem Wettbewerb. Damals hat NICHT OHNE UNS von Sigrid Klausmann sogar gewonnen. Hier haben die Kinder über die Protagonist:innen aus den verschiedenen Ländern sehr viele Anknüpfungspunkte zu sich selbst gefunden. Zwar sind die erzählten Lebensrealitäten sehr unterschiedlich zu denen in Deutschland, aber die Themen waren universell, so dass das junge Publikum andere Kulturen kennenlernen und sich gleichzeitig mit seiner Alltagsrealität auseinandersetzen konnte.
Kinder denken zunächst in ihrem eigenen Universum. In eurem Film haben die Protagonist:innen unterschiedliche Herausforderungen und das Gefühl, sie passen nicht in die Schablone, die für sie vorgesehen ist. Hier bin ich gespannt, ob sich andere Kinder gleichermaßen in sie hineinversetzen können.
Aber unsere Kinder leben ja sogar in Deutschland.
Nicola Jones: Ihr erzählt in eurem Film von Kindern, die das Gefühl haben, in der Gesellschaft nicht richtig funktionieren zu können. Und dann werden sie rein gepresst in dieses System sowohl in der Schule als auch im Alltag. Und diejenigen, die das nicht können oder wollen, oder die sich einen anderen Weg suchen müssen, die haben es natürlich schwerer. Ich bin neugierig, wie und ob Kinder das verstehen, wenn sie selbst nicht betroffen sind. Sicherlich werden Kinder dabei sein, die sich sofort identifizieren können, weil sie selbst geflüchtet sind, eine andere Hautfarbe haben oder autistisch sind. Aber es wird vielleicht auch die geben, die das nicht nachfühlen, weil sie keinen Bezug dazu haben.
Bei der VR Experience finden Kinder es sicherlich sehr spannend, sich in einen immersiven Raum zu begeben und dort auch zu interagieren. Diese Möglichkeit haben die wenigsten Kinder zu Hause, da fasziniert sicherlich das Medienerlebnis auch aufgrund der neuen Erfahrung. Ihr seid mit eurem hybriden Projekt – Dokumentarfilm und VR für Kinder – wirkliche Pioniere. Ich habe darin auf jeden Fall sehr viel Engagement, Leidenschaft und Liebe zum Detail – sei es bei den Zeichnungen, dem Sound oder der Musik – gesehen.
Ich freue mich, dass Euer Film wenn auch online nun bei uns seine Deutschlandpremiere feiern wird, denn allein schon, dass MEINE WUNDERKAMMERN entstanden ist – da habt ihr fast etwas Unmögliches geschafft und könnt richtig stolz sein. Ich sehe nicht sehr oft einen deutschen dokumentarischen Langfilm, der partizipativ mit Kindern für Kinder erzählt.
Vor Jahren hatte unsere Regisseurin Susanne Kim im Leipziger Auwald ein Mädchen paddelnd auf einer Scholle gesichtet. Gebaut aus gefundenem Material, das die Erwachsenen weggeworfen hatten. Dieses Bild inspirierte Susanne irgendwann einen Film über die „Insel der Kindheit“ zu drehen, denn die sah sie in dieser Szene vor sich. Als sie später den damals 9-jährigen Wisdom fragte, was er denn gerne machen würde in seinem Kinderfilm, sagte er, er wolle mit einem Boot oder einem Floß bis nach Italien fahren. Und von dort aus „auf die andere Seite“. Wisdom sagte nicht, er möchte nach Afrika, aber er meinte das Dorf seiner Eltern, die aus Kamerun kommen. Denn sein Traum ist es, zu sehen, wo seine Familie herkommt. So schloss sich der Kreis der inneren Bilder.
Die Sequenzen von Wisdom auf seiner Floßreise fanden Einzug in MEINE WUNDERKAMMERN und wurden für den Film und die VR gedreht. An einem sehr windigen Tag im Oktober 2019 fanden die Filmaufnahmen an der Nordsee statt und Susanne stieg im Neoprenanzug in das eisige Wasser, um Wisdom davon abzuhalten ins offene Meer zu treiben, während er ganz Profi in See stach. Emma Rosa Simon, die Kamerafrau und Daniel Fischer, der Tonmann, mussten aufpassen, dass sie am Strand nicht weggeweht werden. Im Studio von blendfx war es weniger stürmisch, dafür probte Simeon Conzendorf, der die technische Regie der App-Entwicklung innehatte, schon mal mit Wisdom die perfekte Floßfahrt für die VR. Damit wir mit Wisdom auch in seiner virtuellen Welt auf die Reise ins Dorf seines Urgroßvaters gehen können.
6 Fragen an…
Unter dieser Rubrik wollen wir die erwachsenen Herzen und Köpfen hinter unserem Projekt vorstellen, dieses Mal die Kamerafrau Emma Rosa Simon.
Emma wurde in Tremblay les Gonesse, Frankreich, geboren und studierte an der „Academy of Art University“ in San Francisco und der „Deutschen Film- und Fernsehakademie“ (dffb) in Berlin. Sie arbeitet als Kamerafrau und Regisseurin. Ihr Dokumentarfilm LOST HORIZON wurde mit dem Dokumentarfilmpreis des Bayrischen Rundfunks (BR) ausgezeichnet. LIEBESFILM, ihr letzter Spielfilm, bei dem sie zusammen mit Robert Bohrer die Regie führte und die Bildgestaltung übernahm, lief sehr erfolgreich auf zahlreichen Festivals und ist DER Film über eine moderne, hippe Beziehung in Berlin. Mit Susanne hat sie schon für TROCKENSCHWIMMEN zusammengearbeitet und nach mutigen Senior:innen, standen jetzt für MEINE WUNDERKAMMERN, Kinder vor ihrer Kamera. Das ist übrigens Emma Rosa Simon mit unserem Produzenten Holm Taddiken in der Hollywoodschaukel während der Drehpause.
Ich glaube mich an die Regeln an der dänischen Filmhochschule zu erinnern: Keine Waffen, keine Tiere und keine Kinder in den Produktionen. Gab es die bei euch an der DFFB auch? Und wenn ja, warum glaubst du, gibt es die eigentlich?
Ja, die gab es an der DFFB auch, sie wurden aber eher als Empfehlungen wahrgenommen oder absichtlich so gedeutet. Vor allem sind diese spezifischen Regeln, keine Waffen, keine Tiere, keine Kinder ja dazu da die Erstjahres-Student:innen davor zu schützen, zu viel Zeit zu verschwenden. Wenn bei Aufnahmen geschossen werden soll, muss man ganz bestimmte Sicherheitsvorkehrungen treffen. Mit Tieren drehen ist auch nicht immer einfach, denn sie tun eher selten was man sich von ihnen wünscht. Mit Kindern darf man nicht länger als ein paar Stunden drehen. Wenn das Kind in jeder Szene zu sehen ist, hat man da ein Problem. Es macht schon Sinn solche Regeln einzuführen und unter Umständen macht es Sinn, diese zu brechen.
Und wie war es für dich an einem Kinderfilm mitzuarbeiten?
Beim Dokumentarfilm ist das ganz anders, auch wenn man fiktionale Elemente hat wie bei MEINE WUNDERKAMMERN. Es gibt von der Produktionsseite aus viel mehr Spielraum, viel mehr Zeit, so dass sich Situationen von sich heraus entwickeln können. Der technische Aufwand ist zudem sehr gering, so dass man zwischen den Bildern/Szenen keine langandauernden Umbauten hat.
Reagieren Kinder auf die Kamera anders als Erwachsene?
Ja und nein. Es gibt sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen die Spaßvögel, die erst mal ganz nah an die Linse gehen und rein winken. Das legt sich aber meistens irgendwann. Deswegen ist es wichtig Zeit, zu haben, um diese Aufregung, dass eine Kamera da ist, etwas abflauen zu lassen. Manche vergessen die Kamera dann ganz schnell oder sie wird uninteressant, oder sie wird zu etwas vertrautem. Das ist eigentlich am besten, wenn man zwar wahrgenommen wird, aber nicht als Bedrohung, sondern als Komplizin.
Hast du einen anderen Blickwinkel eingenommen oder die Bilder anders gedacht, weil du wusstest, dieser Film ist für Kinder und die sollen ihn sehen wollen?
Ich habe immer versucht auf Augenhöhe zu gehen. Ich wollte nicht auf sie herabschauen. War nicht immer angenehm für den Rücken, aber ich bin ja zum Glück nicht sehr groß und kann mich auch gut in kleine, unbequeme Ecken verkriechen.
Eine dokumentarische Kamera zu führen bedeutet ja auch, sehr involviert zu sein. Hast du da eine Strategie für dich entwickelt? Wie gehst du mit den Menschen vor deiner Linse um?
Es findet eine nonverbale Kommunikation zwischen den Protagonist:innen und der Kamera statt. Man muss ein bisschen spüren wie nah man rangehen kann, wann Protagonist:innen Abstand brauchen. Und oft verstehen sie auch irgendwann was man von ihnen will, ohne dass darüber gesprochen wird. Wichtig ist, dass man nicht als störend empfunden wird aber trotzdem wahrgenommen wird. Ich glaube nicht, dass Protagonist:innen völlig vergessen, wenn eine Kamera da ist, aber man kann es ihnen erleichtern, so zu tun als ob. Es kommt ja auch sehr darauf an ob man mit Menschen dreht, die Erfahrung damit haben oder ob es Laien sind. Ich versuche, die Menschen die ich drehe, immer zu lesen. Das passiert oft schon während des Drehs, weil meistens keine Zeit da ist, sich vorher groß kennenzulernen und Zeit miteinander zu verbringen. Ich versuche auch zu erahnen, was die Protagonist:innen von mir brauchen. Das kommt dann auch darauf an, wie die anderen im Team drauf sind und wie groß das Team ist. Brauchen die Protagonist:innen viel Aufmerksamkeit, dann scherze ich auch mal zwischen den Takes rum. Oder brauchen sie Ruhe, dann ziehe ich mich eher zurück. Habe ich das Gefühl, dass die Protagonist:innen sich ein bisschen verloren fühlen und die Regie gerade mit etwas anderem beschäftigt ist, dann versuche ich, etwas mehr Vertrautheit aufzubauen. Das Bild entsteht im Dokumentarischen dann eher intuitiv. Manchmal auch ganz pragmatisch.
Du drehst auch selber Filme als Kamerafrau und Regie in Personalunion. Was ist anders, als „nur“ die Kamera zu machen? Ist es vielleicht sogar einfacher, beide Funktionen innezuhaben, weil du noch intuitiver arbeiten kannst?
Ich finde es auf jeden Fall einfacher wenn ich beim Dokumentarfilm auch die Kamera bediene. Ich wüsste, glaube ich, sonst gar nicht wohin mit mir. Es ist schwierig nicht ständig einzugreifen. Wenn man ein Werkzeug hat, nimmt man sich eher zurück und lässt die Situationen entstehen. Zwischendurch gibt es immer die Möglichkeit ein bestimmtes Bild zu wiederholen oder entstehen zu lassen. Einen Gang, eine bestimmte Bewegung. Greift man während gerade etwas passiert, ins Geschehen ein, geht das meistens in die Hose. Regiearbeit findet beim Dokumentarfilm nicht unbedingt während des Takes statt. Es ist das Davor und das Danach. Während der Aufnahme hat man als Regie wenig Einfluss. Das muss man aushalten können.
UNSER TIPP
Auf der Webplattform SpatzTopia werden alle zehn Erzählangebote, die im Wettbewerb DIGITAL auf dem „Goldenen Spatz“ laufen, in einer Ausstellung gezeigt. Hier könnt ihr zwar nicht die richtige virtuelle Reise in MEINE WUNDERKAMMERN antreten, aber zumindest Einblicke in die Experience bekommen. Die Welten von Wisdom und Roya stehen als 360 Grad-Videos zur Verfügung und ihr könnt auch schon mal ganz kurz auf Elias Planeten landen und Jolines blaue Käfer zum Klingen bringen. Für alle Interessierten ist SpatzTopia in der Festivalwoche von Sonntag, 6. Juni, bis Samstag, 12. Juni, 11 bis 17 Uhr geöffnet. Es ist auch immer jemand vom Festivalteam vor Ort, um die Besucher:innen in die Webplattform einzuführen und Fragen zur Ausstellung zu beantworten. Bitte beachten: Man braucht Chrome oder Edge als Browser und am besten ein Festgerät. Auf mobilen Geräten entfällt nämlich noch die Videochat-Funktion.
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