Ein herzliches Willkommen…
… zu unserem Newsletter, den wir begleitend zum Kinderdokumentarfilm- und VR-Projekt WUNDERKAMMERN gestartet haben
Gemeinsam mit Joline (12), Roya (12), Wisdom (11) und Elias (14) und noch vielen anderen Kindern, haben wir einen Film und eine VR-Experience „gebaut“, die andere Kinder einladen, ihre inneren Welten zu entdecken. Sie sprechen dabei Themen an, die ihre Kindheit prägen: Mobbingerfahrungen, Liebe, das Gefühl, nicht dazuzugehören, Freundschaft, Rassismus. Dabei zeigen sie, dass Verletzlichkeit eigentlich Stärke ist. Und dass hinter den offensichtlichen Oberflächen und Schubladen, in denen wir andere Menschen oft einsortieren, phantastische, spannende Welten schlummern, die entdeckt werden wollen.
Und das macht unser Projekt auch ganz besonders: es ist MIT und VON Kindern, FÜR Kinder gemacht. Die Kinder haben ihre Ideen eingebracht, passende Bilder für ihre Geschichten gefunden, Lieder geschrieben und interpretiert, Requisiten gebaut und Geräusche aufgenommen.
WUNDERKAMMERN erzählt einfühlsam und poetisch über Kinderwelten und richtet sich insbesondere an 7 bis 10-Jährige. Natürlich werden deshalb „unsere“ Kinder auch den Newsletter mitgestalten. Sie möchten ihre Buch-Film-Musik- und Koch-Tipps mit euch teilen, und so Kinder UND Eltern inspirieren, gemeinsam Neues zu entdecken oder zu erleben. Außerdem haben sich viele Themen im Laufe der Dreharbeiten angesammelt, die wir gerne aufgreifen wollen.
Ursprünglich waren WUNDERKAMMERN die ersten Museen, gefüllt mit sehr persönlichen Sammlungen. Diese müssen aber gar nicht unbedingt aus Dingen bestehen. Es können auch Erinnerungen, Träume und Wünsche gesammelt werden. So gesehen hat jede*r seine eigene WUNDERKAMMER.
In Ausgabe #2 sprachen wir unter anderem mit der Medienpädagogin Britta Senn über Cybermobbing und Visionen für eine neuartige Film- und Medienbildung. Franziska Junge, die ganze Bücher und Ordner „befüllt“ und damit auch die WUNDERKAMMERN unserer Kinder visuell zum Leben erweckt hat, spricht über ihre Arbeit. Und wir haben einen Geschenktipp für Weihnachten: ein Buch voller berührender Schwimmgeschichten. Auch die von unseren „Wunderkammerkindern“ Roya und Wisdom sind mit dabei.
Britta Senn ist freie Medienkonzepterin, medienpädagogische Workshoptrainerin und Journalistin. Gerade im Moment vermisst sie Kommunikation mit Menschen im analogen Raum. Denn obwohl ihre Expertise gerade jetzt in den Zeiten von Corona stark gefragt ist und sie in Onlinekursen vermittelt, wie Medienbildung auch digital stattfinden kann, fehle ihr, wie sie sagt, „die Energie die entsteht, wenn Menschen sich wirklich austauschen und zusammenarbeiten“. Ihre vorrangigen Themen sind Neue Medien, Netzsicherheit und digitale Bildung. 2016 gründete sie deshalb auch mit anderen MedienpraktikerInnen den Verein „Transmedia Mitteldeutschland e.V.“. Susanne Kim sprach mit Britta Senn über Cybermobbing im Schulalltag und ihre Visionen für eine gelungene Film- und Medienbildung.
In der aktuellen Studie des Bündnisses gegen Cybermobbing e.V. und der Technikerkrankenkasse ist herausgekommen, dass schon jede/r sechste SchülerIn in Deutschland Opfer von Cybermobbing geworden ist. Das sind 2 Millionen Kinder und Jugendliche zwischen 8 und 21 Jahren. Corona habe die Situation noch verschärft. Du hast dich als Medienpädagogin in deinen Projekten schon immer mit diesem Thema auseinandergesetzt. Wie kam es dazu?
Das kam bei mir eigentlich sofort, als ich mit medienblau* in Klassenzimmern war. Das war erstmalig 2014. Da hatten wir ein Projekt, das sich an Kinder ab der 5./6. Klasse richtete. Damals die Altersgruppe, die das erste Smartphone bekam. Heute haben schon viel jüngere Kinder ein Smartphone. Aber damals war die 5. Klasse eine gute Zeit, in das Thema einzusteigen, um zu sagen, es gibt hier viele tolle Möglichkeiten, wie man kommunizieren, sich unterhalten und bilden kann. Aber auch darauf aufmerksam zu machen, dass es Gefahren gibt, vor denen man sich schützen muss. Wir haben in den Klassen grundlegend erklärt, wie das Internet funktioniert, wie das Smartphone z.B. eben auch getrackt werden kann und dass jeder selbst eine Verantwortung dafür hat, dass man sicher ist und gegen keine Rechte verstößt.
Da hat sich für mich gezeigt, dass das alles super wichtige Informationen sind, aber am drängendsten waren immer die Themen Selbstdarstellung und Emotionalität. Also: Ich als Mensch in den Netzwerken. Und da war und ist Cybermobbing die Nummer Eins an Gesprächsbedarf. Denn es gab immer einen ganz akuten Mobbingfall, oder ein Kind hat sich im Prozess des Workshops offenbart.
Und da merkt man ganz schnell, dass Seelen zerstört werden in einem Medium, das wir Erwachsenen, die ja nicht mit einem Smartphone aufgewachsen sind, nicht begreifen. Auch nicht, wie schnell das passieren kann. Das hat mich sehr betroffen gemacht. Denn es sind 10-jährige, die etwas erleben, das wir uns gar nicht ausmalen können. Auf jedem Schulhof gab es schon immer Outsider, irgendwer wurde gegängelt oder gemieden. Aber das fand wenigstens mit offenem Visier statt. Auf eine fairere Art, wenn man das so sagen kann. In den sozialen Netzwerken ist so viel Fieses möglich und das wird eben auch ausprobiert. Kinder sind neugierig, das ist ja auch richtig. Aber leider sind Kinder auch manchmal brutal.
(* Anmerkung der Redaktion: medienblau ist eine gemeinnützige Agentur, die sich seit mehr als neunzehn Jahren in der Medienbildung engagiert)
Hast du eine Idee, wie die Mechanismen funktionieren, wie sich eine Mobbingkampagne lostritt im Netz oder den sozialen Netzwerken? Es fällt einem ja immer noch schwer zu glauben, dass schon Zehnjährige ein anderes Kind zerstören und fertig machen wollen.
Doch, das ist leider so. Wenn Cybermobbing in der Schule passiert, ist die Ausgangslage immer eine persönliche Situation. Man mobbt selten Leute einfach so, unbekannterweise. Es gibt natürlich auch Fälle, bei denen man Mobbingopfer an einer Schule X hat und die SchülerInnen von Schule Y mobben die Person auch, obwohl sie die gar nicht kennen. Aber dann ist das meist ein bekannter Fall, auf den alle aufspringen.
Normalerweise sind es Bekannte. Das ist dann die oder der Klassenschwächste, oder jemand der irgendwelche Besonderheiten hat. Da fängt eine kleine Gruppe an, sich lustig zu machen und dann machen immer mehr mit. Und es ist nicht immer so gedacht – dich machen wir jetzt komplett fertig, du bist jetzt unser Opfer. Aber die dahinterliegende Motivation ist: Ich will zu einer Gruppe gehören, wie mache ich das am einfachsten? Indem ich eine Gruppe gestalte, die für etwas steht, oder gegen etwas. Das ist eine typisch menschliche Vorgehensweise. Innerhalb dieser Gruppe sind diejenigen, die sich still hinter die aktiven Mobber stellen am größten. Sie wollen einfach verhindern, selbst zu Opfern zu werden. Die ist schon im Kindergarten zu beobachten.
Jetzt gibt es aber noch viel mehr Werkzeuge, um das zu tun und dabei auch noch unerkannt zu bleiben. Und alle können ganz leicht einsteigen, denn Whatsapp-Gruppen haben mittlerweile alle Klassen, selbst wenn es die Lehrer verbieten. Oder es werden gerade die, die kein Smartphone haben, weil die Eltern sie schützen wollen, zu Mobbingopfern. Weil sie gar nicht dabei sein können. Es gibt so viele Varianten, wie das vor sich geht – absolut menschliches Verhalten aber jetzt mit Hammerwerkzeug.
Was sind denn dann die Gegenwerkzeuge, die präventiv oder im konkreten Fall wirklich etwas erreichen können? Was kann man machen?
Machen ist das Stichwort! Wichtig ist, dass das Thema im Klassenzimmer besprochen wird. Wir als MedienpädagogInnen sagen aber immer, wir möchten keinen Einzelfall besprechen, sondern das Thema allgemein diskutieren. Ansprechen, was ist denn konkret Cybermobbing und auch erklären, dass es auch davor schon Mobbing gab und Cybermobbing nur die Übernahme in den digitalen Raum darstellt. Aber auch klar zu machen, dass nur weil es digital stattfindet, es trotzdem echte Auswirkungen hat. Also die emotionale und psychische Komponente zeigen, die wir alle spüren können.
Auch: SchülerInnen zur Reflexion anregen – wie geht es mir eigentlich, wenn ich angegriffen werde? Wenn ich Kritik ausgesetzt bin und mich noch nicht mal wehren kann? Aber auch die andere Seite beleuchten. Warum könnte ich jemanden mobben, was habe ich davon? Welche Gefühle setzt das frei? Dass die Leute wirklich in sich gehen, darüber nachdenken, dann auch mal nicht mitmachen, wenn jemand gemobbt wird, vielleicht auch jemanden zur Seite stehen. Was wir also machen, ist, SchülerInnen den Raum zu geben, wirklich frei Schnauze reden zu können. Wir kommen ja als MedienpädagogInnen von Außen und sagen auch ganz klar: Wir kennen euch nicht, wir haben kein Bild von euch. Was ja bei LehrerInnen oft auch nicht mehr so ist. Die haben oft ihre Lieblinge und Vorurteile gegenüber bestimmten SchülerInnen. Wir dagegen kommen relativ unbeleckt rein und nehmen, was wir kriegen. Und hoffen dann gemeinsam mit den jungen Leuten neue Anfänge und Ansatzpunkte zu gestalten. Zusätzlich geben wir den LehrerInnen dann auch Hilfe mit, wie sie das Thema weiter mit der Klasse bearbeiten können. Einen Weg aufzeigen. Dazu reicht nicht der eine Workshoptag.
Man muss auch den LehrerInnen die Chance geben, zu verstehen, was passiert da eigentlich. Weil die oft auch wirklich blind in der Klasse sind. Im Chat wird gemobbt ohne Ende, während die LehrerInnen vorne Mathe oder Deutsch erklären. Und keine Ahnung haben, warum die Schülerin da hinten rechts, gerade zusammenbricht. Die wissen zum Teil gar nicht, was da für brutale Sachen abgehen. Und am Ende haben wir auch immer Elternabende, an denen wir Aufklärungsarbeit leisten. Eltern dürfen ihre Kinder einfach nicht alleine lassen mit dem Smartphone. Sondern es ist genauso ihre Aufgabe zu gucken, was die Kinder am Smartphone machen, wie die Kinder zu fragen, ob sie ihre Zähne geputzt haben. Es ist wirklich auch eine Psychohygiene, die betreut und gelernt werden muss. Dabei ist es notwendig, alle Parteien einzubinden, damit sie mehr aufeinander achten.
Du hast schon angesprochen, dass es auch darum geht, die LehrerInnen weiterzubilden, auch transmedialer auszubilden. Was ist da deine Vision? Wie kann Film- und Medienbildung zeitgemäßer und auch innerhalb der Medien verschränkter funktionieren? Stichworte sind zum Beispiel: Film, Netz, Virtual Reality.
Es ist aus medienpädagogischer Sicht zu beobachten, dass von LehrerInnen verstärkt gewünscht wird, dass wir interaktiv mit den SchülerInnen arbeiten. In dem Sinne, dass wenn wir Workshops geben – sei das zu Cypermobbing, Hassreden im Netz, oder Fake News- , wir Beispiele mitbringen, die über das klassische Material hinausgehen. Also nicht nur Handouts, einen Artikel oder einen Film. Sondern es ist ganz klar, wenn das ein filmisches Element ist, dann muss es auf youtube sein und dann sind die Kommentare ebenso wichtig, wie das Video an sich. Oder wenn wir einen Themeninput bringen, dass wir den nicht nur einfach mündlich vortragen, sondern der z.B. auch aus einem Podcast sein kann. Am Ende kommt dann der wichtige medienpädagogische Schritt, damit die SchülerInnen das Thema besser begreifen. Dazu sollen sie selbst kreativ werden. Und das, was sie herstellen, sollte nicht nur „klassisch“ ein Film, oder ein Video mit dem Smartphone sein. Es könnte auch auf einer selbstgestalteten Website stehen, die dann mit Tonbeiträgen, Emojis, Memes, Gifs etc. angereichert werden kann.
Beim Input und Output werden neue Wege gesucht, die einfach der Zielgruppe mehr entsprechen. Das kommt schon automatisch ins Klassenzimmer. Aber immer nur, wenn wir als MedienpädagogInnen dabei sind. Auch heute schreckt die Technik immer noch ab. Man kann bei den meisten LehrerInnen immer noch beobachten, wenn es praktisch wird, dann treten die immer gleich einen ganzen Schritt zurück. Mehr als einen HDMI Anschluss am Beamer zu finden, ist meist nicht. Das ist schon gruselig. Und natürlich immer die riesige Frage: Wie ist denn das Internet an der Schule? Auf Nachfrage am Telefon entsteht meist eine Pause. Dann kommt: „Also manchmal…“ Da weiß man schon, will man etwas Interaktives machen, wird es anstrengend. Es gibt plötzlich 10.000 Hürden im Klassenzimmer. Das ist das Deutschland, in dem wir uns 2020 immer noch befinden.
Siehst du Corona und die damit einhergehenden Schulschließungen auch als ein Testfeld? Dass man jetzt mit Bildung allgemein und Medienbildung im Speziellen innovativer umgehen lernt?
Es ist noch zu früh, das abschließend einzuschätzen. Ich habe auch noch nicht mit so vielen LehrerInnen gesprochen. Aber meine bisherige Erfahrung ist die, dass die LehrerInnen, die immer schon etwas Anderes versucht haben, sich über die Freiheit auch ein bisschen gefreut haben. Jetzt nicht immer im 45/90-Minutentakt den Unterricht abhandeln zu müssen. Viele waren aber auch überfordert oder eingeschränkt von den örtlichen Besonderheiten. Wenn eben ein Land wie Sachsen eine Schulplattform aufsetzt, die eine gewisse Limitierung hat und du nichts davon umsetzen kannst, was dich interessieren würde, kann das für LehrerInnen auch frustrierend sein.
Klar kann man trotzdem sagen, jetzt haben wir mal ein wenig mehr Digitalität rein bekommen. Aber die Befürchtung ist ja, dass wenn alle wieder in den Klassenzimmern sitzen, es „back to normal“ geht. Es ist ja auch nicht so, dass sich jetzt mit den Formaten und den Themen des Digitalen auseinandergesetzt wird. Man versucht, die Schulaufgaben digital umzusetzen. Es handelt sich also um einen Adaptionsprozess und keinen wirklichen Innovationsprozess. Da habe ich schon noch größere Hoffnungen, als die Auswirkungen von ein bisschen Corona-Unterricht.
Wie würde denn Medienbildung ablaufen, wenn du eine Carte Blanche hättest, du alles machen und ändern könntest, was du willst? Du dich also mit neuen Formen und Formaten, neuen Berufsgruppen, einer neuen Art der Bildsprache und Wahrnehmung, gerade in VR und AR und noch vielem anderen mehr, „austoben“ könntest?
Die Frage ist gefährlich (lacht). Ich würde einfach das ganze Schulsystem umkrempeln, so dass es keine Schulfächer mehr gibt.Wenn es heißt: So, jetzt haben wir 90 Minuten Mathe. Was ist das denn für eine Vorbereitung auf das Leben? Wir müssen in Zukunft ganz anders arbeiten, gerade durch das Digitale. Wir brauchen mehr Teamwork, eine stärkere Verknüpfung von Wissen. Wir brauchen kein reines Fakten-Abfragen, das Wissen ist eh schon in der Cloud gespeichert. Natürlich ist es wichtig, einige Fakten zu wissen und auch offline funktionieren zu können. Aber wie schön wäre es denn, wenn wir thematisch arbeiten, wenn wir Kindern beibringen, über Motivation das zu verfolgen, was sie gerne möchten. Und on the go dabei die Werkzeuge anbringen, die ihnen helfen, damit weiterzukommen. Mir ist klar, dass jemand rechnen und lesen können muss, bevor eine Projektplanung losgehen kann. Aber dieses stupide Abarbeiten von Lehrplänen, die sich schon seit gefühlt 80 Jahren nicht geändert haben in manchen Fächern, finde ich albern. So werden wir in der Zukunft nicht agieren können.Wie wäre es mit mehr Schulzeit für Sozialkompetenz, Resilienz und Empathie? Corona ist nur eine von vielen Krisen mit denen sich unser Nachwuchs in Zukunft leider auseinandersetzen muss. Da wünschte ich mir, dass die Schulen ihnen dazu das Rüstzeug mitgeben.
Wie also dann neue Technologien in das Klassenzimmer bringen?
Das wäre im Idealfall ein natürlicher Prozess. Dass eben nicht von Außen irgendwelche Leute kommen müssen und sagen, jetzt gibt es auch Virtual Reality, kuckt euch das mal an. SchülerInnen würden dann ein Projekt haben bei dem man gemeinsam überlegt, in welchem Medium lässt sich das am besten vermitteln. Und dann schaut man sich Technologien an, die passende wird rausgesucht. Und man beschäftigt sich dann damit. Man kommt also nicht von Außen mit der Technik als eine Art Zaubereffekt, der verpufft, sobald der normale Schulalltag zurückkehrt. Sondern die neue Technik hat einen Mehrwert für ein konkretes Thema, mit dem die Klasse sich gerade beschäftigt.
Was wir dazu für LehrerInnen bräuchten, welcher Schulform es bedarf, wie dann der Unterricht gestaltet wird – all das, müsste man ausprobieren. Das wird in vielen Ländern auch gerade schon gemacht. Vorreiter ist da Finnland, das neue Formen der Wissensvermittlung austestet. Ich bin gespannt auf die Schule von Morgen.
Welche Formate brauchen wir aber denn im Jetzt ganz konkret, um nicht nur die klassische Film- und Medienbildung zu vermitteln, Schulen auch für das Neue zu öffnen?
Wir müssen Konzepte finden, die es Schulen so einfach wie möglich machen, Neues auszuprobieren. Da hat zum Beispiel Google als großes Internetunternehmen schon viel probiert, zum Beispiel Google Classroom mit den Card Boards, oder auch Tablet-Klassen-Koffer anderer Anbieter. Das sind natürlich immer super kommerziell gesteuerte Aktionen, die nicht ans Limit gehen, oder experimentell sind, wenn es um den Inhalt geht. Die wollen einfach eine Businesslösung. Aber zumindest schaffen sie so eine Art Vorvertriebsstruktur, damit man sieht, wie es vielleicht gehen könnte. Es müsste aber noch mehr öffentliche und nicht nur vom Kommerz gesteuerte Unternehmen geben, die Projekte entwickeln, die bilden, aber auch künstlerisch sein können. Und dann eben auch in den Schule erfahrbar sind. Aber es geht immer um die Vertriebsstrukturen. Es bringt nichts, nur den Content herzustellen, man müsste den Vertrieb gleich mit integrieren.
Das ist ein gutes Stichwort, denn wir haben ja mit „Meine Wunderkammern“ so ein Projekt, einen Film plus eine VR-Experience, die sich thematisch aber auch visuell aus unserer Sicht für den Bildungsbereich eignen und die wir gerne an die Schulen, in die 3. bis 5. Klassen bringen wollen. Wo kann man mit so einem Projekt in Deutschland andocken?
Meine Gegenfrage: Was hat denn eine Klasse davon, die VR zu haben? Was ist der Mehrwert zum Film?
Ich hätte mich nie damit beschäftigt, eine VR zu produzieren, wenn es nicht ein sinnvoller Zusatz wäre. Denn im Gegensatz zum Film, kannst du als Besucher, nicht nur Kindern zuhören und sie beobachten, du kannst aktiv in ihre Gedankenwelten hinein gehen, zum Beispiel auf dem Planeten von Elias, einem Jungen aus unserem Projekt, landen und dort interagieren. Und hast auch eine körperliche Erfahrung. Du „fliegst“ für einen Moment richtig. Elias hat mich überhaupt auf die Idee gebracht, denn im Gegensatz zu mir, hatte er VR schon ausprobiert. Und es machte für mich auch sofort Sinn. Denn er lebt in einer phantastischen Welt, die er nicht mitteilt, die aber anderen Kindern zeigt: Ja, dieser Junge ist besonders. Aber auf eine tolle Art. Und das er eben nicht aus der erzählerischen Perspektive eines Erwachsenen gezeigt wird, nicht unter dem Stempel Autismus wahrgenommen wird. Das wollte ich unbedingt vermeiden, im Film und der VR. Ich will, dass die Kinder mit denen zusammen wir das Projekt entwickelt haben, anderen Kindern ihre Innenwelten zeigen und fühlen lassen, dabei aber nicht Sonderlinge sind, sondern als die starken Persönlichkeiten auftreten, die sie sind. Die Themen Mobbing, Fremdsein, Anderssein und Rassismus kommen vor, aber sie kommen von den Kindern selbst. Die virtuelle Realität erzeugt dann auch noch mal eine andere Form der Emotionalität, des Involviertseins als der Film.
Ja, dass klingt nach einem sinnvollen Ansatz. Die Frage ist immer, was ist das dahinter stehende Thema. Und für mich klingt eurer Projekt sehr stark nach Empowerment. Die eigene Welt zu kommunizieren und im Falle der VR mit einem Medium, das dem Nutzer noch andere Möglichkeiten gibt, als der klassische Film. Das bedeutet, man muss einen Förderer finden, der sich mit diesem Thema befasst und das Konzept unterstützen will. Oder ein Technikunternehmen das sagt, ich will Gutes tun und dabei noch meine Technik bewerben. Medienpädagogik ist leider immer unterfinanziert. Im privaten Sektor finden sich da eher Finanzierungsmöglichkeiten, als beispielweise bei den klassischen Landesmedienanstalten. Die haben ja eigentlich die Strukturen, um über Land zu fahren und Projekte in Schulen zu betreuen. Aber da werden die Gelder gerade eher knapp, auch durch Corona. Die SAEKs, also die für Sachsen zuständigen Medienkompetenzvermittlungsstellen stehen zum Beispiel gerade vor dem Aus. Der Vertrag wird über Sommer 2021 nicht verlängert und es wurde noch keine Alternative dazu bekannt gegeben. Meines Erachtens purer Wahnsinn.
ROSE: „Bist du das Chamäleon oder die Taube?“
ELIAS: „Ich bin das Chamäleon!“
6 Fragen an…
Unter dieser Rubrik wollen wir die erwachsenen Herzen und Köpfen hinter unserem Projekt vorstellen, dieses Mal Franziska Junge, die die Gedanken, Träume und Ideen der Kinder aufgegriffen hat, um sie in Zeichnungen zu verwandeln. Ohne ihre künstlerische Handschrift wären unsere WUNDERKAMMERN definitiv nicht, wie und was sie jetzt sind. Sie zeichnet, illustriert und animiert in ihrem Studio in Leipzig. Unten finden sich einige Stills aus dem Film und der VR und hier ist das ganze Gespräch zu finden.
Würdest du den Stift eher als Verlängerung deines Kopfes oder deines Herzens bezeichnen?
Das ist schwierig zu sagen und variiert abhängig vom Thema, dem Projekt und meiner Stimmung. Ich zeichne häufig mit dem Kopf, denn ich weiß was ich darstellen will und im besten Fall auch wie. Aber das, was durch den Stift auf dem Papier oder Tablet ankommt, besitzt immer auch Teile des Herzens. Etwas, das aus mir kommt und mein Gefühl trägt. Dieses Gefühl findet sich dann in meiner Zeichnung als etwas Persönliches und auch Unerwartetes wieder.
Gab es einen Moment, in dem du erkannt hast, dass Zeichnen nicht nur das ist, was du eigentlich immer machst, sondern etwas ist, das du auch kannst?
Den einen Moment hatte ich nicht. Es hat sich eher angefühlt wie ein langsames Hineingehen ins Meer, irgendwann hatte ich keinen Boden mehr unter den Füßen und konnte einfach Schwimmen. Natürlich hat es mir auch die Umwelt gespiegelt – die Aufnahme an der Kunsthochschule, die ersten Aufträge und Zusammenarbeiten während des Studiums, die Zeit danach und die spannenden Projekte, die seitdem zu mir kommen. Und jetzt sagen es mir meine Kinder: Mama, wie gut kannst du ein Schloss, ein Ufo und einen Löwen zeichnen!
Hast du ein Lieblingssujet, zu dem du immer wieder zurückkehrst?
Blumen. Und immer wieder ich – in meinem Leben und Alltag.
Was ist anders daran, im virtuellen Raum zu zeichnen, anstatt in 2 D?
Es fühlt sich nicht wie zeichnen an sondern eher wie das Formen einer Skulptur. In 2D zeichne ich einen Baum und ich habe ihn vor mir auf dem Papier. In 3D forme ich einen Stamm, ziehe mit meinen Joysticks ganze Äste über mich und zeichne kleine Blatthaufen um mich herum. Es ist wie Würste zeichnen und die dann übereinanderstapeln und dann ist es ein Baum.
Kinder haben bis zu einem gewissen Alter eine ganz unverstellte Art zu zeichnen und es entstehen die genialsten Bilder. Irgendwann hört das bei den meisten auf. Warum?
Ich glaube, oft hört dieses Zeichnen auf mit der Erkenntnis, dass das Gezeichnete nicht perfekt der Realität, wie sie ein Foto abbilden kann, entspricht. Das ist frustrierend und wird verstärkt durch die Beurteilung der Zeichnung an dem Maßstab der exakten Abbildung. Das ist gut, das ist richtig und so sieht es aus – von Erwachsenen, Lehrern und auch anderen Kindern gesagt, nimmt die Freude am unmittelbaren Ausdruck!
Du magst Ping Pong mit anderen KünstlerInnen, auch aus anderen Bereichen. Du hast zum Beispiel zu den Songschnipseln eines Musikers gezeichnet. Mit wem, noch lebend oder bereits verstorben, würdest du dir gerne die Bälle hin- und her spielen?
UNSER TIPP
Durch Zufälle trifft man auf die faszinierendsten Menschen und oft die besten Ideen! Wenn Susanne Kims letzter Film Trockenschwimmen nicht das besondere Interesse von Dagmar Müller geweckt hätte, wären unsere Wunderkammern/Cabinets of Wonder nicht das, was sie heute sind. Dagmar leitet den Verein Schwimmen für alle Kinder in Tübingen und ihre Herzensangelegenheit ist es, dass wirklich alle Kinder Schwimmsicherheit erlangen können. Bei einem Telefonat kam Susannes Kinderfilmprojekt zur Sprache und Dagmar fiel sofort ein ganz besonderer Junge ein, der in einem ihrer Kurse schwimmen gelernt hat. Und so fuhr Susanne dann vor drei Jahren das erste Mal nach Tübingen und traf Wisdom, damals 8 Jahre alt. Jetzt hat Dagmar ein Buch initiiert, für das sie berührende persönliche Schwimmgeschichten gesammelt hat, darunter auch die „unserer“ Wunderkammer-Kinder Wisdom und Roya. Sie sind beide sehr stolz, dass ihre Geschichten mit dabei ist. Wer also noch ein Weihnachtsgeschenk sucht: Meine Schwimmgeschichte. Ein Mut-Mach-Buch zum Lesen, Vorlesen, Nachdenken und Anschauen kann manhier bestellen.
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